„Zum Glück habe ich diese Nacht hinter mir!“, schießt mir durch den Kopf als ich aus dem Zelt steige. Ich war früh schlafen gegangen. Gegen 23:00 Uhr zieht ein massives Gewitter mit Starkregen und Sturmböen gegen die Bergflanke. Lediglich mein Körpergewicht hält das Zelt in der Nacht noch am Boden. Mit jeder Stunde sammelt sich mehr und mehr Wasser um mich herum, mein Schlafsack ist durchnässt und ich kann nichts machen. Ich setze mir eine Mütze auf, ziehe sie mir ins Gesicht und zu warte. Draußen wird es im Sekundentakt taghell während die Blitze mit ohrenbetäubendem Lärm durch den Himmel schießen. Eine sehr erholsame Nacht …
In Sichtweite von meinem Schlafplatz ist ein kleiner Brunnen. Über eine Schnecke kann ich mir eiskaltes Quellwasser fördern – diese Dusche am Morgen macht wach. Während das Zelt in der Morgensonne trocknet ziehe ich mich an. Es ist sehr kühl, die Talinversion hängt noch tief. Als dieser Kaltluftsee beginnt aufzusteigen und der Nebel sich am Hang hochdrückt wird es kurzzeitig noch kälter. Die Wiese ist durchnässt und schlammig.
Ich habe Isabell an einem leichten Hang abgestellt. Etwa fünf Meter hangabwärts wird es deutlich steiler. Anstatt das frisch betankte Motorrad komplett abzukoffern – damit es leichter wird – entscheide ich mich, alles aufzuladen. So habe ich mehr Last auf die Hinterachse und bekomme hoffentlich Gripp.
Ich habe das Bike schon fast gedreht, da fahre ich auf eine extrem aufgeweichte Rasenstelle. Mit blockiertem Vorderrad und durchdrehendem Hinterrad rutsche ich ungebremst hangabwärts - die Physik der bewegten Masse. Nach wenigen Sekunden sind die fünf Meter erreicht, es wird steil, keine Chance mehr. Ich schlage den Lenker ein, stoppe den Motor noch, bevor sich das Bike mit einem lauten Schlag in den Boden gräbt und ich abgeworfen werde.
Nach einigen verzweifelten Versuchen das Motorrad (ca. 300 kg) am Hang aufzurichten, renne ich zur Straße, stoppe das erste Auto, das den Pass herunterkommt. Eine hübsche Frau Anfang 30 mit einem kleinen Kind auf dem Rücksitz – vielleicht nicht die beste Hilfe in diesem Fall. Sofort bietet sie an, ein paar Männer aus dem Dorf zu schicken. Ein weiteres Auto hält, ein junger Franzose, er versteht kein Wort. Die Frau übersetzt und er bietet sofort Hilfe an. Bevor es losgeht öffnet er seinen Kofferraum und zieht zunächst seine Wanderschuhe in gewohnter französischer Ruhe an. Nachdem er sich die Wanderschuhe angezogen hat rennen wir zum Motorrad. In dieser Position läuft das Benzin aus dem Tank. Selbst zu zweit schaffen wir es nicht, es auf die Räder zu bekommen. Aus einem Holzverschlag holen wir Pfosten zum Hebeln, Bretter um sie unter das Hinterrad zu legen. Unsere Schuhe graben sich bis zu den Knöcheln in den matschigen Hang. Diesen Morgen hatte ich mir anders vorgestellt.
Viel Schweiß hat es uns gekostet, bis ich nach ca. 15 Minuten auf Isabell sitze, Gas gebe und verzweifelt versuche den Hang zu erklimmen. Mein Helfer schiebt seitlich, ich muss Schwung sammeln auf dem Holzbrett. Als dieses endet schlingert das Motorrad sofort erneut zur Seite. Ich habe die Schnauze voll, drehe den Gashahn rum, der Motor heult auf, das Hinterrad schleudert den Matsch fast drei Meter in die Höhe.
Geschafft.
Wir beide müssen erstmal lachen. „Merci, Merci, Merci“. Auch er hat nun eine Geschichte vom heutigen Tag zu erzählen, wohin er auch fahren mag. Als Dank ein kräftiger Händedruck und ich drücke ihm noch eine Dose Bier in die Hand bevor er weiterfährt. Geile Aktion …